Bremer Briefe

Politische Zeitung und Argumentationsforum für Bremen

Bremer Briefe Nr.1:
Thea Tucho: Im Kern verrottet- 25 Jahre Bremer Universität
Von der "Kaderschmiede" zur Kaderschmiede

Bremer Briefe Nr.2
Carlo Scherfchen: Die Gemeinschaft der Bremer Demokraken

Bremer Briefe Nr.3
Thea Tucho: Razz-Fazz-Taz
 TAZ-Bremen- oder die Flucht ins Mittelmäßige

Bremer Briefe Nr.4
H. - Rainer Dietrich
NATO Angriffskrieg auf Jugoslawien


 
 


Verantwortlich: Klaus Schüle

Artikel und Post an: i02b@zfn.uni-bremen.de


Bremer Briefe Nr.1

Politische Zeitung und Argumentationsforum für Bremen


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Im Kern verrottet - 25 Jahre Universität Bremen

Von der ”Kaderschmiede" zur Kaderschmiede

von Thea Tucho

In nur einigen Jahren haben sich an der Universität Bremen wahrlich umwälzende Ereignisse abgespielt, wogegen manche Revolutionen verblassen. Es waren wahre Titanenkämpfe, denn die Reiche mußten neu geordnet werden, die Umstrukturierung verlangte Sysiphuskräfte, die Universität mußte vom Kopf wieder auf die Füße gestellt werden, neue Fachrichtungen wurden geschaffen, die die alten alt aussehen ließen, im ”Staatsdurchgriff" (W.Franke) wurden ganze Landschaften verändert, die Bewegung war unwiderstehlich: Jetzt ist diese Universität wieder an die Bundesrepublik angekoppelt. Die Bremer Universität ist Servicelieferantin für die Region, die Nation, ja Europa; sie ist die Basis für neue wirtschaftliche Möglichkeiten, für weltweite Zusammenarbeit. Kurz: ”Sie ist ein Ort der Begegnung der Disziplinen, der Generationen, Nationen, Kulturen und Denksystemen" (J.Timm) Dies alles soll sich in den Köpfen Bremer Professoren und Politiker abgespielt haben.......

Einer der wendigsten sozialdemokratrischen Eierköpfe der Republik, Peter Glotz, hat gesagt, die deutschen Universitäten sein "im Kern verrottet"-kurz danach ist er daran gegangen, als Gründungsrektor eine neue verrottetete Universität in Erfurt aufzubauen. Genau dies ist kennzeichnend für die politische Schizophrenie von heute.Es geht nicht nur um die Diskrepanz zwischen kritischen Sagen und reaktionärem Handeln, zwischen links blinken und rechts fahren, sondern darum, daß die Universität tatsächlich im Kern verrrottet ist. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Einige davon kann man erkennen und benennen. Allerdings muß man dazu erst die Ausgangsposition der Universität Bremen kurz beschreiben:

Die Folgen

Das linke und kritische Potential der Universität Bremen ist also verrottet. Verrottet aus sehr verschiedenen Gründen. Die Folgen freilich sind präzise beschreibbar:

Intermezzo: Die Ausnahme und die Regel

Natürlich gibt es Studiengänge, die anders funktionieren. Von der Ankunft im Sekretariat bis in die Vorzimmer der Dozenten, von den täglichen kleinen Entscheidungen bis hin zur Art wie gemeinsam gelehrt und geforscht wird. Die Bedingungen der Institution Universität und die subjektiven Voraussetzungen derer, die sie tragen indes, führen immer mehr zur Verrottung.Wenn man wie Abaelard die Institution einfach verläßt, findet man schon außerhalb der Universität Denkorte (vom Lehrhaus Bremen bis zu manchen gewerkschaftlichen Einzelinitiativen). Und auch innerhalb der Universität befinden sich Nischen. Wer zum Beispiel in die Kurse von Ivan Illich geht, bekommt dort nicht nur ein anderes geistiges Futter, sondern-vor allem- eine andere Art der Aneignug des geistigen Futters mitgeteilt. Das hat viel mit dem Einbezug der Teilnehmer und mit solidarischer Weitergabe von Wissen zu tun. In den Nischen kann man lernen.

Beispiele

Damit der subjektive Faktor zum Tragen kommt, Beispiele für die alltäglichen Zerstörungen. Aber aufgepaßt, dieses ”je est un autre”.

Die Gründe

Nein, so einfach wie Herr Krämer-Badoni (in "Nachmärz”) darf man sich die Sache nicht machen. Er sagt -dem Sinne nach- die 68er sind Kleinbürger, kein Wunder also, daß sie kleinbürgerlich denken, handeln und raffen und ausschließen.

Die geistige Verrottung hat objektive Gründe (seit 1977 sind die Studentenzahlen um 8o% gestiegen, die Stellen aber nur um 6%, um nur eine Rahmenbedingung zu nennen). Und die subjektiven Gründe sind sehr ernst zunehmen. Wie ergeht es eigentlich einem Hochschullehrer, der von seinen Kollegen, weil er ständig und gut lehrt, aber nichts veröffentlicht, nicht ernst genommen wird? Wie anders als zynisch kann einer reagieren, wenn nur mehr der Selbstdarstellungswert der Kollegen zählt? Was bitteschön macht ein Kollege, der im Clan der Selbstversorger nicht gern gesehen ist? Welchen Eindruck hinterläßt eigentlich die Abzockermentalität der Studenten, die es haufenweise gibt, bei den Dozenten? usw..

Vergessen wir nicht: eine große Anzahl von Kollegen ist nach 68 buchstäblich ausgesondert worden: sie sind keineswegs Kleinbürger gworden, sondern haben sich nach dem Berufsverbot in verschiedenen Berufen herumgeschlagen, sie sind buchstäblich krank an den Verhältnissen geworden oder krank gemacht worden (Rudi Dutschke ist schließlich nicht Gärtner geworden, sondern gestorben, Herr Krämer-Badoni! Er wohnt nicht in einem bequemen Viertelhaus). Eine Menge dieser Leute wollten gewiß nicht Leitungsfunktion, C 4 Stellen, Karriere machen usw. Natürlich sind die Herren Akademiker in akademische Berufe gegangen. Wohin denn auch sonst. Natürlich habe einige im traditionellen Sinne kleinbürgerliche Verhaltensweisen eingenommen: raffgierig, geizig, selbstbedacht-unsolidarisch, kungelbereit, Filz-Genosse. Mag sein, daß eine Diskrepanz besteht zwischen ”öffentlich geforderter Moral und privatem Habitus". Wichtig ist aber gerade umgekehrt: die öffentliche, inhaltliche, wissenschaftliche Position der Dozenten ist verrottet.

Die Krankheit der Intellektuellen aber ist noch eine völlig andere: Oskar Negt hat sie als die ewigen ”Opportunisten" bezeichnet. Ich sehe noch einige andere schichtenspezifische Eigenschaften: Wie der Teufel das Weihwasser meiden sie jeden linken Geruch oder sie weihwassern wie vor 2o Jahren im Jargon der Adepten marxistischer Dogmatiker - beides mit entpolitisierendem Effekt.Ein weiterer unseliger Zug ist die Tendenz, ständig die Aufklärung im Munde zu führen oder sie in den Gremien vorzutäuschen, sie aber hintenherum zu kontrekarrieren- ein antiaufklärerischer Effekt.

Schließlich am verheerendsten ist das miese Anpassungsbild, welches diese Kaste ganzen Studentengenerationen vorlebt. Denn die Studierenden sehen in der Regel die miese Lernumgebung, die miese Hilfen, die angeboten werden; die Wohlgefälligeit und Arroganz der Lehrenden (die sich gegenseitig Preise für die beste Lehre zuschustern!), die KLein-Klein-Forschungsgebiete die da als heiße Ware verkauft werden. Langsam, ganz langsam aber, wenn die ersten Gefälligkeiten in kleine Gratifikationen sich niederschlagen, passen sie sich an. Wenn die ersten Scheine abgeliefert werden müssen, reden sie sich ein, wie wichtig die Dinge sind, die da abgehandelt werden (über die Abtönungspartikel im 16. Jahrhundert). Mit der gleichen Ergebenheit werden sie Nachrichten verfassen, Computerprogramme schreiben und Schulbücher ”anwenden" usw. Die Kaderschmiede ist perfekt.


Bremer Briefe Nr.2

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Die Gemeinschaft der Bremer Demokraken

von Carlo Scherfchen

Die ältesten und bekanntesten Kraken sind die gemeinen oder auch die sozialen Demokraken (octopodi communiis). Sie verspritzen, wie alle Kraken, sehr viel Tinte und wie alle anderen Kraken bewegen sie sich vorwärts, indem sie sich rückwärts katapultieren. Sozialdemokraken haben in ihrer Geschichte die größten Anpassungs- leistungen vollbracht. Von ursprünglich geradezu agressiv- bissigen Teufels sind sie zu braven Kriechtieren geworden. Aber: wenn sie, sich gegenseitig an den Fangarmen haltend in großen Schwärmen, wie Filzteppiche durchs Wasser gleitend, vorwärtbewegen, kann man es noch heute mit der Angst kriegen. Wer unter den Teppich gerät, ist verloren- außer er gehört dazu. Gehört man aber dazu, dann für ewig. Selbst verendete, aufgegebene, auch schon stinkende Kraken werden mitgeschleppt. Die Solidargemeinschaft der Stinker hält zusammen.

Am seltensten in unseren Gewässern sind die feisten, feilen oder auch wohlfeilen Demokraken (octopodi argentii). Sie verdanken ihre Existenz und Überleben einem Zufall: irgendein Geschäftemacher hat nämlich die Kraken mit den drei Punkten auf dem Hintern zu Leckerbissen erklärt und seitdem hält sich der Schmackes in bürgerlichen Küchen. So ein richtig feiler Demokrakk ist nicht unter 4o-5o ooo DM zu kriegen. Man muß schon recht geschickt vorgehen, um ihn zwischen die Zähne zu bekommen. Und Vorsicht! Es wird viel Unfug mit den Viechern getrieben. Da die Tiere ständig ihre Konsistenz verändern ist schon manches mal Katzenfutter oder Kleie beigemischt worden. Hinzu kommt, daß sie äußerst schwer zu fangen sind. Sie sind so geschäftig-wuselig, daß man sie im eigentlichen Sinne nicht fängt. Man muß sie vielmehr mit Götterspeise solange locken, bis sie kalben. Sie kleben dann ungemein, aber sie sind pfannenfreundlich.

Am größten und grausigsten sind die fischlichen Demokraken (octopodi quasi-religiosii). Mit ihren riesigen Saugnäpfen saugen sie jeden Napf aus (daher der Name). Und nicht nur Näpfe, sondern alles, was ihnen unter die Finger, d.h. die Arme kommt. Sie umklammern ihre Opfer solange, bis denen die Luft aus- oder die Brieftasche auf geht. Dazu stoßen sie eine bräunliche Flüssigkeit aus, die so süßlich säuert, daß einem die Schwinne sieden. An Land gezogen, muß man sie erst einmal richtig weichklopfen, bevor man sie ißt. Sie sind pfannenfreundlich, aber sie nölen natürlich stark.

Alle drei Krakenarten bilden die Gemeinschaft der Demokraken. Ihr Wahlspruch ist: Wer hat, der hat. Haste was, biste was. Biste was, frißte was.

Man darf Demokraken auf keinen Fall mit Grünkraken oder mit den kommunüßlichen Kraken (octopodi verdii ut terrestrii) verwechseln. Sie gehören zwar auch zur Familie der Demokraken, haben aber wesentlich weniger Saugnäpfe, sie spritzen wohl viel Tinte, aber sie schmecken viel säuerlicher. Sie sind kaum auf dem freien Markt zu kaufen, sehr schwer zu fangen, klein und ungemein glitschig. So ein Grünkrakk zum Beispiel ist nicht sehr pfannenfreundlich, aber magenschonend, durchfallhemmend und gut gegen Pickel, glaube ich. Grünkraken hängen sich manchmal an sozialdemokrakische Filze und werden von denen auch mitgefüttert und wohlfeile Demokraken hängen sich an die fischlichen Demokraken. Meistens bricht aber dann der Streit los, wer an wem hängt. Und alle schreien laut, mischen sich ein, und beschwören die Gemeinschaft der Demokraken, den fischlichen und feilen Staat und das Grundnetz aus dem sich alle bedienen...

Demokraken übrigens gibt es auch in Dosen (aus der Türkei, glaub' ich). Kommunüßliche Demokraken freilich sind dosenscheu und Grünkrakers muß man nach wie vor selbst fangen, ausnehmen, walken und gut würzen, damit der scheußliche demokrakkischen Gestank rausgeht.


Bremer Briefe Nr. 3

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Razz-Fazz-Taz

TAZ- Bremen oder die Flucht ins Mittelmäßige

Liebe Rosi Roland,

Fragt mich doch Siggi neulich: "Sag mal warum liest Du eigentlich noch die TAZ?
" Sag' ich: "Weisste eigentlich nur mehr wegen Tom und Til".
Sacht der: "Iss das denn nich' ein bischen wenig?"
"Ja", sach ich, "iss wohl wie mit der Gewerkschaft, irgendwie schafft man den Absprung nicht, aus reiner Solidarität"

Findste das nich auch ein bischen dürftig, Rosi? Schau mal, Du kennst ja nu das Innenleben von dem Laden. Weist ganz genau, daß keine Theaterkritik mehr da am X geht, weil der K. dort mal Regieassistent war und dessen Freundin einfach geschmissen wurde dort. Weist weiter, daß der A. Pressesprecher bei Senator für S. werden will und er deshalb nich mehr so viel Pfunde da reinhaut. Und F. Der kann einfach nicht anders , der is einfach so platt....... kommt ja auch erst nachmittags nach 7 Uhr zur Sitzung, wenn alles vorbei is. Und erst der M., der einsame Wolf, der weder mit den Pedisten noch mit den Sozköppenn noch mit den Libbelisten kann, kennt natürlich alle aus Kampfzeiten, macht aber nur noch Mus...

Hör mir auf, Rosi, das erklärt überhaupt nix. Schau mal, das fängt ja ganz im Kleinen an: Die kriegen ja bei Euch nich mal die Kinozeiten halbwegs auf die Latte; bei Veranstaltungen weiß man nicht nur nicht wer, sondern auch nicht wo oder was, und zu Großereignissen, also da schreiben ihr ja grundsätzlich nix, ne, meint man.

Es ist die simple Kriegsberichterstattung........Hofberichterstattung..........Provinz.
Wenn se gar nichts mehr wissen, dann werdense ironisch (und damit kreuzkonservartiv) -wie bei Radio Bremen 2. Es is ja auch so halbwegs die gleiche Meschpoke, ne.

Das funktioniert so: statt zu sagen, "der Senator F. hat 1., und 2., und 3., deshalb hat die Trantüte den Abschied verdient", heiß es: "komm' ich doch neulich beim Kaiser Friedrich vorbei....." oder: "manche verdienen ihre Geld im Schlaf, Schlafes Bruder sozusagen, nun ist Schlaf ja etwas sehr Produktives.." usw.usw.usw.
Die meinen wohl, Meinung gehöre heute so verpackt, ne? Son büschen lebendig gemacht, ne?

Rosi, weiste, nur als Beispiel, komm ich doch neulich mit einem von Euren Fritzen zusammen und sag zu ihm: "Sagen Sie mal, Herr N., wie wäre es, wenn Sie mal ein Bericht über "Slums in Bremen machen". Sagt der: "Aber Frau Tucho, wir haben doch über die Drogenszene ausführlich berichtet". Sag ich: "Schon, aber wissen Sie die Neustadt-Gruppe hat da über die Wohnverhältnisse Material gesammelt....". "Interessant", sagt der Fritze, "über die Altmarkt-Gruppe" haben wir ja ausführlich berichtet, nicht wahr?". "Neustadt..." wage ich einzuwerfen, schüchtern. "Machen se man", sagt dann der Fritze, wir werden das in den Veranstaltungshinweisen bringen....? So reden die nich nur, so schreiben die!!

Rosi, es wird einfach nachgeschwätzt, was alle schwätzen. Bestenfalls mal nen Interview mit irgend 'nem Großkopp. Euch fällt wirklich nichts mehr ein. Fürs Politische habt ihr den ollsten aller Hinterlader dens gibt, die Pranke von Franke. Fürs Grundsätzliche das Gepolter von Herrn Volscher. Fürs Chaos immerdergleiche Peitschgen usw. und dergleichen. Weiste, Rosi, ihr kritisiert nicht mehr, sondern ihr nölt nur noch -und zwar gerade bei denen, die Euer Leser-Stamm sind.

Was fehlt, weiste Rosi, ist einfach Reschärsche. Nein, Rosi, Du hörst das Falsche raus, das hat nix mit Sesselpupsen zu tun. Im Amerikanischen nennt man des "invästigeitiff tschörnalissm", man muß da schon richtig den Arsch hochnehmen un rumfragen (und nicht bloß Senatoren, Amtsleiter, Funktionäre kitzeln), man muß vielleicht auch mal in eine der wenigen, verbleibenden Bibliotheken gucken. Das würde aber bedeuten, daß ihr genau dahin geht, wo ihr den Schmäh hinschmeisst.

Weiste Rosi, im Grunde ist das ganz einfach: Du packst Dein' Griffelkasten, setzt Dir Deine Ami-Base-Ball-Mütze auf und setzt Dich in die Kantine bei Vulkan. Drei Tage lang. Odern schönes großes Altenheim, da bleibst mal ne Woche. Ich kann Dir auch ne dufte Grundschule nennen. Oder schreib Dich mal in der Uni ein, nen Monat, wenigstens. Wenn Du nicht weiterweist, dann guck Dir einfach mal die Oma Schoettle in TAZ-Mutterblatt an.

Was fehlt, Rosi, ist natürlich vor allem Zeit, woman-power und Durchblick.
Die Zeit könntet ihr Euch nehmen. Die Personen würde ich halt mal auch wechseln.
Den Durchblick kriegste aber nur wenn de lange und durchdringend hinkieckst,
meint Eure,
moralisierende Tante

Thea Tucho


Bremer Briefe Nr.4

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H. - Rainer Dietrich
Sonnenstr. 16 28203 Bremen, den 25.03.99
 
 
 

NATO Angriffskrieg auf Jugoslawien
mein schneller Kommentar


Die NATO greift Jugoslawien - auch Montenegro, das sich von der serbischen Politik di-stanziert hatte - an. Nach klassischem Muster: Die NATO- Staaten stellen Forderung an den anderen Staat, seine inneren Verhältnisse anders zu regeln und fremde Truppen in´s Land zu lassen. Die aufgeforderte Regierung lehnt ab. Dann stellen die anderen ein Ultima-tum mit der Drohung, die Waffen sprechen zu lassen, und als der Staat die Forderung nicht erfüllt und das Ultimatum verstreichen läßt, wird der Krieg begonnen.
Rechtlich ist der Krieg weder von der UNO sanktioniert, noch von der NATO - Satzung gedeckt, die ein Verteidigungsbündnis seiner Mitglieder ist und sich vertraglich auf ein be-stimmtes Gebiet bezieht. Weder wurde die NATO angegriffen oder ein Mitgliedsland, noch liegt das jetzt angegriffene Territorium, auch nicht der Kosovo, im von der NATO zu schüt-zenden Bereich. Die NATO handelt bei vergleichbaren Fällen, wie die Drangsalieren der Kurden im verbündeten Staat Türkei oder den Enteignungen und Vertreibungen von Palä-stinensern im Westjordanland oder gar dem organisierten Völkermord in Burundi auch ganz anders und greift nicht militärisch ein und Deutschland liefert auch noch Waffen an die Türkei.
Es gibt auch keinen Gruppenzwang nach dem Motto alle machen mit und nur die Deut-schen wollen eine Sonderrolle spielen und sich raushalten nach dem alten Wort: „Ohne mich“. Eher das Gegenteil ist richtig: Außer USA, Groß Britannien, Frankreich und Deutschland macht von der NATO keiner mit. Dabei brauchen die drei neuen Mitglieder der NATO, die an den Beschlußfassungen noch gar nicht haben mitwirken können, gar nicht erwähnt zu werden. Weder die BeNeLux Staaten, Spanien, Portugal, Türkei, Irland, Dänemark, Norwegen, Kanada noch Italien, das nur nicht verhindert, daß die US Stütz-punkte in ihrem Land dafür benutzt werden und schon gar nicht das angrenzende Grie-chenland, das lieber mit Serbien zusammen Druck auf Mazedonien ausübt. Die NATO Staaten haben eher beschlossen: Wenn ihr vier Großen unbedingt wollt, werden wir Euch nicht hindern. Eine automatische Bündnisverpflichtung gibt es im NATO – Vertrag auch bei Feststellung des Verteidigungsfalles nicht, um so weniger in diesem Fall. Die Bundes-republik beteiligt sich also ohne Zwang oder Druck willentlich und aus freien Stücken an diesem Krieg.

Das hohe Kulturgut und eine wesentliche Grundlage eines zivilen Rechtsstaates, die Ver-hältnismäßigkeit der Mittel, wurde dabei nicht gewahrt: Die UNO Sanktionen des Embar-gos nicht nur von Waffenlieferungen sondern auch das Verbot, den jugoslawischen Ver-kehrsflugzeugen Landeerlaubnissen zu geben u.a. wurde gerade von westlichen Ländern auch England und besonders Griechenland nicht eingehalten. Die Möglichkeit, jeden in seinen Rechten verletzten Kosovo - Albaner vor einem europäischen Gerichtshof auf Ent-schädigung und Wiedergutmachung klagen und einen Rechtstitel erwerben zu lassen, der an allen aus Jugoslawien exportierten Waren und Geldern hätte vollstreckt werden kön-nen, was die jugoslawische Wirtschaft schnell lahm gelegt hätte, ist erst gar nicht erwo-gen worden. Trotz des verhängten Wirtschaftsembargos der UNO ist der jugoslawische Außenhandel von 1995 bis 1998 auf ca. 7 Mrd. US $ gestiegen, davon 4,6 Mrd. $ Einfuhren und 2,6 Mrd. $ Ausfuhren. Deutschland ist weiterhin größter Außenhandelspartner. Die Embargomaßnahmen – oder auch nicht er-griffenen Maßnahmen –haben laut Auskunft des Präsidenten des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels , Michael Fuchs, keine erkennbaren Auswirkungen auf die deutsche Exportwirtschaft gehabt. Insofern sind die weniger starken Mittel gar nicht versucht worden einzusetzen. Auch nur eine einzige eigene Interessengruppe auch nur eine müde Mark Geschäft nicht machen zu lassen, das trauen sich die Regierungen der NATO – Länder nicht. Aber andere totschießen, das können sie – wenn auch mit Boxerhundfalten auf der Stirn bei öffentli-chen Auftritten - beschließen. Schon deswegen ist das Töten und Zerstören durch NATO Soldaten ein Morden und Mordbrennen und m. E. daher rechtswidrig und auch nicht mit Nothilfe zu rechtfertigen.

Der versprochene Schutz für die drangsalierte Bevölkerung ist nicht glaubwürdig und kei-nesfalls zuverlässig. In Szebreniza, wo die SFOR Schutztruppe eine Schutzzone für die vor den Serben fliehenden Bevölkerungsteile ausgerufen und garantiert hatte, und die weitge-hend von Soldaten aus dem NATO – Mitglied Niederlande geschützt werden sollte, führte gerade das zur Katastrophe. Die Bosnier, die sich auf diesen Schutz verlassen hatten, wurden umgebracht, weil die SFOR Truppen vor Ort sie nicht schützten sondern kampflos der serbischen Soldateska das Feld überließen. Das jetzt gewählte Mittel der Bombardie-rungen in Jugoslawien ist für die Bevölkerung, die angeblich geschützt werden soll, auch viel zu risikoreich, denn die Serben können das zum Anlaß nehmen, die Vertreibung im Kosovo zu beschleunigen, ohne daß die NATO Mittel hätte, die albanische Bevölkerung davor zu schützen. Selbst wenn die NATO sich auch noch entschließen würde, mit Boden-truppen Jugoslawien oder den Kosovo zu erobern, würde der Aufmarsch der dafür ge-brauchten Massen an Menschen und Material so lange dauern, daß Milosevic mit seinen fanatisierten Serben genug Zeit hätte, die Ermordung und Vertreibung fast zum Abschluß zu bringen. Unter einem schließlich errichteten NATO Protektorat in einem zerstörten Ko-sovo könnten dann die überlebt habenden und geflohenen Kosovo Albaner repatriiert werden und müßten ein zerstörtes und dadurch ganz anderes Land wieder aufbauen als das, was sie verlassen haben.

Die NATO Staaten haben ganz wesentlich zu dieser militärischen Konfrontation beigetra-gen. Die Kosovo Albaner haben nach der Aufhebung der Autonomie durch die Serben An-fang der 90er Jahre aus den gescheiterten bewaffneten Aufständen im Ostblock aber den schließlich erfolgreichen Widerständen durch zivilen Ungehorsam wie in Polen durch die Gewerkschaft Solidarinosc und der Tschechei mit der Gruppe 66 gelernt und sich auf zi-vile Verteidigung ihrer Rechte und Kultur konzentriert. Sie haben Untergrundschulen, Un-tergrund – Universitäten, eine eigene Verwaltung so weit gebildet, daß sie schließlich all-gemeine Wahlen haben durchführen und von der herrschenden offiziellen serbischen Verwaltung nicht haben daran gehindert werden können. Eine UCK oder andere bewaffne-te Widerstandsorganisationen gab es praktisch nicht. Erst als sich Ende der 90er Jahre die NATO des Kosovo – Konfliktes annahm, den sie ja zehn Jahre, was die praktische Poli-tik anbelangt, ignoriert hatte, um einen weiteren Grund zur Schwächung eines der letzten Verbündeten Rußlands weiter zu schwächen, wurde die UCK gebildet und bewaffnet. Es geschah im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch in Albanien, als dort auch die NATO Staaten Brückenköpfe bildeten und in Mazedonien ihre Heerlager errichteten. Die UCK sind offensichtlich politisch unerfahrene und politisch schlecht organisierte bewaff-nete Haufen, deren Verantwortung gegenüber der Bevölkerung ganz unklar ist. Jedenfalls ordnen sie sich nicht der von den Albanern gewählten Vertretung unter. Nur durch die Drohgebärden der NATO gegenüber Milosevic konnten die Kosovo – Albaner glauben, daß nun schnelle Erfolge für Autonomie oder Unabhängigkeit erreicht werden könnten. Die Drangsalieren und Unterdrückung durch die serbischen Behörden wurde erst seitdem zu militärischer Vertreibung, Zerstörung und Mord gesteigert. (Es kann natürlich nicht bewiesen werden, daß diese Eskalation ohne politisches Eingreifen der NATO und Bildung der UCK nicht auch von den Serben betrieben worden wäre.) Die NATO hat m.E. die Situation mit herauf beschworen, in die sie jetzt behauptet, mit militärischer Gewalt eingreifen zu müssen. Ihr Kriegsziel ist nur, von Milosevic die Zusage zu erpressen, wieder mit einer ähnlichen Truppe in Jugo-slawien einzurücken wie in Bosnien. Ein unmittelbarer Schutz der Menschenrechte im Ko-sovo ist dadurch weder möglich noch beabsichtigt. Den Kosovo Albanern haben sie schon den Verzicht auf ihr Selbstbestimmungsrecht abgepreßt, demgemäß sie das Recht hätten, sich abzuspalten. Gerade die Bundesrepublik hat bis zu Wiedervereinigung immer auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker bestanden. Kaum irgendwo sind die Mehr-heitsverhältnisse so klar und überwältigend zugunsten der albanischen Bevölkerung wie im Kosovo. Die wieder neu gebildeten baltischen Länder beherbergen viel weniger eine von den Russen unabhängige Bevölkerungsmehrheit als die Albaner im Kosovo. Dennoch wird vom Westen selbstverständlich das Selbstbestimmungsrecht der Balten auf Sezessi-on unterstützt. (Ob wir in Westeurtopa eine Kleinstaaterei und auf Volkstum und Kultur anstatt auf Ver-fassung und Gesetz beruhende Staatenbildung noch für sinnvoll halten, ist eine ganz andere Frage. Eine Abkehr von völkisch nationalen Staatenbegründung kann auch nicht durch Machtdiktat sei es von Restju-goslawien oder der NATO verordnet werden, sondern kann sich nur in freier Selbstbestimmung entwik-keln.)

Die NATO ist mit dem Angriff also zu einer imperialistischen Organisation der Weltherrschaft mutiert. Es steht auch nicht das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Men-schenrechte im Vordergrund der Aktion sondern Machterwerb und Ausdehnung. Die GRÜNEN, die auch mit dem Slogan groß geworden sind "Frieden schaffen ohne Waffen" stellen nun den Außenminister, der diesen Angriffskrieg mit verantwortet, die nach dem Motto handelt „Übermacht herstellen mit immer mehr Waffeneinsatz“. Die SPD, die einst-mals mindestens in Teilen der Friedensbewegung nahe stand (historisch aber immer außer 1939 sich schließlich mit der Rüstung und dem Krieg der Machthaber arrangiert hat), stellt in dieser Phase den Kanzler einer der "linkesten" Regierungen in Deutschland und macht das mit.


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